Arbeitsgruppe Diabetes mellitus
Diabetes mellitus – Mechanismen der Beta-Zellschädigung und Beta-Zellproliferation
Prof. Tiedge
Der Diabetes mellitus ist die volkswirtschaftlich bedeutendste Stoffwechselerkrankung in den westlichen Industrieländern, von der mehr als 5 % der Bevölkerung betroffen sind. Der insulinpflichtige Diabetes mellitus (Typ 1 oder IDDM) zeichnet sich durch eine selektive Zerstörung der insulinproduzierenden Beta-Zellen des Pankreas aus, die eine lebenslange Substitution des Hormons erfordert. Der Diabetes mellitus Typ 2 (NIDDM oder Altersdiabetes) hat seine Ursache in dem Zusammenspiel einer ausgeprägten Insulinresistenz, die mit Sekretionsstörungen der Beta-Zellen einhergehen. Die chronisch erhöhten Blutglucosespiegel führen im Verlauf der Erkrankung nach Jahren zu mikro- und makrovaskulären Spätschäden, die zur Erblindung, Nierenversagen, Myokardinfarkt und cerebralen Durchblutungsstörungen führen.
Der Forschungsschwerpunkt des Instituts liegt auf dem Gebiet der Beta-Zelle des Pankreas. Die Beta-Zelle des Pankreas besitzt zwei herausragende Eigenschaften, die sie von anderen endokrinen Zelltypen unterscheidet:
- Das Signal für die Auslösung der Insulinsekretion wird im Stoffwechsel der Beta-Zelle generiert ("Metabolische Stimulussekretionskopplung"). Dies bedeutet, dass Änderungen des Intermediärstoffwechsels die sekretorische Funktion der Zelle beeinflussen und zu Sekretionsstörungen führen, wie sie beim Typ 2 Diabetes mellitus beobachtet werden.
- Die Beta-Zelle besitzt eine ausgesprochene Sensitivität gegenüber Stressoren (Proinflammatorische Zytokine, freie Radikale, hohe Blutglucosespiegel), die zumapoptotischen und nekrotischen Zelltod führen.
In dem Beta-Zell Forschungsschwerpunkt stehen die folgende Aspekte im Vordergrund:
1. Progredienz der Beta-Zellzerstörung durch proinflammatorische Zytokine und Betazellregeneration
Die Zerstörung der insulinproduzierenden Beta-Zellen des Pankreas im Autoimmundiabetes ist ein komplexer Prozeß, der durch die Wirkung von Zytokinen, Makrophagen und zelltoxischen Lymphozyten vermittelt wird. Freie Sauerstoff- und NO-Radikale spielen für die Schädigung der Beta-Zellen eine entscheidende Rolle. Der Zelltod ist dabei die Folge eines labilen Gleichgewichts aus der Schädigungsdosis der hochreaktiven Radikale und den zellulären Abwehrmechanismen. Zu diesen Abwehrmechanismen zählen antioxidative Enzyme, die hocheffektiv freie Sauerstoffradikale inaktivieren. Beta-Zellen des Pankreas sind besonders schlecht mit den zytoprotektiven Enzymen Superoxiddismutase (Cu/Zn und Mn Isoform), Katalase (KAT) und Glutathionperoxidase (GPX) ausgestattet. Untersuchungen der Genexpression belegten ein deutliches Missverhältnis zwischen den Superoxid-inaktivierenden Enzymen und H2O2-inaktivierenden Enzymen in insulinproduzierenden Zellen. Dieses Missverhältnis begünstigt eine Akkumulation von H2O2 und die Bildung von zelltoxischen Hydroxyl-Radikalen. Diese für den Zellschutz extrem ungünstige Enzymratio ist im Vergleich zu anderen Geweben einzigartig für die Beta-Zelle des Pankreas und konnte unter Bedingungen von zellulärem Stress adaptiv nicht kompensiert werden. Durch molekularbiologische stabile Überexpression von antioxidativen Enzymen war ein signifikanter Schutz in insulinproduzierenden Gewebekulturzellen gegenüber Sauerstoffradikalbildnern und NO-Radikalbildnern zu erreichen. Insbesondere die H2O2-abbauenden Enzyme KAT und GPX zeigten eine deutliche Schutzfunktion gegenüber Nitrosoradikalen. Durch Überexpression konnte an insulinproduzierenden Gewebekulturzellen auch ein Schutz durch diese Enzyme vor den klassischen Beta-zelltoxischen Zytokinen Interleukin-1ß (IL-1ß), dem Tumornekrosefaktor α (TNF-α) sowie dem Interferon γ (INF-γ) als typischen Vertretern der Entzündungsmediatoren erzielt werden, die ihre zytotoxischen Effekte auf insulinproduzierende Zellen durch eine Interaktion von intrazellulär generierten Sauerstoffradikalen und NO entfalten. Dabei spielt die Kompartimentierung der Katalase eine entscheidende Rolle, da die Überexpression im mitochondrialen Kompartiment einen signifikant besseren Schutz gegenüber Zytokinen bewirkte als eine Überexpression im zytoplasmatisch/peroxisomalen Kompartiment.
Es ist das Ziel der laufenden Studien:
- die Effekte des antioxidativen Abwehrstatus auf die zytokinvermittelte Aktivierung von stressresponsiven Kinasen (p38, ERK, JNK) sowie auf Signalelemente des ER Stress (Serca2 Funktion, CHOP Aktivierung, Expression des BiP Chaperons) zu untersuchen,
- antioxidative Enzyme und Inhibitoren des stressresponsiven Transkriptionsfaktors NF-κB in primären Inselzellen mittels adeno- und lentiviraler Vektoren zu exprimieren und protektive Effekte unter in vitro Bedingungen sowie nach Inseltransplantation im Rattenmodell zu charakterisieren,
- zu untersuchen, ob sich neuroprotektive Effekte von Erythropoietin auf die Beta-Zelle des Pankreas übertragen lassen. Hierzu werden klassische EPO-Signalwege and insulinproduzierenden Zelllinien und isolierten primären Pankreasinseln charakterisiert.
Kooperationspartner
- Prof. J. Nerup, Dr. A. Karlsen, Steno Diabetes Center, Gentofte, Dänemark
- Prof. D. Eizirik, ULB, Brussels, Belgien
- Prof. T. Mandrup-Poulsen, Hagedorn Research Center, Gentofte, Dänemark
- Prof. C. Mathieu, Universität Leuven, Leuven, Belgien
2. Betazellen und Sternzellen („Stellate Cells) des Pankreas – Effekte von Matrixfaktoren auf die Beta-Zellfunktion und Beta-Zellproliferation
Faktoren der extrazellulären Matrix zu denen Adhäsionsproteine und Kollagen gehören, haben mannigfaltige Effekte auf die Differenzierung, Proliferation und Funktion von Beta-Zellen. Pankreatische Sternzellen (Stellate Cells) sind in der Lage Matrixfaktoren zu sezernieren, ein Vorgang, der insbesondere bei der Pathogenese der chronischen Pankreatitis eine Rolle spielt. Sternzellen sind sowohl im exokrinen als auch im endokrinen Pankreas nachweisbar, wobei die Funktion dieses Zelltyps in den Langerhansschen Inseln unklar ist. In Kooperation mit der Arbeitsgruppe von PD Dr. Jaster (Klinik für Gastroenterologie), die eine international ausgewiesene Expertise auf dem Gebiet der Sternzellforschung besitzt, soll die Interaktion von Sternzellen mit Beta-Zellen des Pankreas untersucht werden.
Es ist das Ziel der Studien:
- die Effekte von sezernierten Matrixfaktoren aus Sternzellkulturen auf die Funktion von Beta-Zellen zu charakterisieren,
- zu klären, ob Matrixfaktoren die Sensitivität von Beta-Zellen gegenüber diabetesspezifischen Stressoren (Zytokine, Glucose- und Lipotoxizität) beeinflussen,
- den Einfluss von Matrixfaktoren auf die Beta-Zellproliferation und Beta-Zelldifferenzierung aus duktalen Zellen zu charakterisieren.
3. Beta-Zellzerstörung und Regeneration in der LEW.1AR1-iddm Ratte – ein Modell des Typ 1 Diabetes mellitus
Tiermodelle des Typ 1 Diabetes mellitus sind seit mehr als 20 Jahren in der experimentellen Diabetologie etabliert. Sie erlauben eine detaillierte Untersuchung der Pathomechanismen der Beta-Zellzerstörung, die aus ethischen Gründen (Pankreasbiopsien!) sowie aus Gründen des Zeitverlaufes nicht an diabetischen Patienten durchgeführt werden können. Zudem sind in der Regel schon ca. 90 % der Beta-Zellmasse durch die Autoimmunattacke zerstört, bevor die Patienten klinisch auffällig werden. Das am häufigsten eingesetzte Rattenmodell des Typ 1 Diabetes mellitus ist die Bio Breeding (BB) Ratte. Die BB Ratte unterscheidet sich jedoch in einem wichtigen Punkt von der Situation im Menschen: das zelluläre Immunsystem zeigt bei der BB Ratte Defekte, die ursächlich für die Diabetesentstehung sind. Diese äußern sich in einer T-Lymphozytopenie der periphären T-Zellen sowie in einer Fehlfunktion der verbleibenden T-Lymphozyten. An der Medizinischen Hochschule Hannover konnte 1997 das LEW.1AR1-iddm Rattenmodell nach einer Spontanmutation im MHC coisogener Stamm zu LEW.1AR1 erfolgreich etabliert werden. Die Tiere zeigen das klassische Bild eines Autoimmundiabetes mit einer progredienten Hyperglykämie, Ketoazidose und Gewichtsverlust, der ohne Insulinsubstitution innerhalb von 10 Tagen letal endet. Die Diabetesinzidenz in der LEW.1AR1-iddm Zuchtkolonie beträgt bis zu 60 % bei Nachkommen diabetischer Tiere. Die genetische Kopplungsanalyse einer (BN x LEW.1AR1-iddm) x LEW.1AR1-iddm Rückkreuzungspopulation zeigte 3 Diabetessuszeptbilitätsbereiche, die auf dem Chromosom 20 im Bereich des MHC (Haupthistokompatibilitätskomplexes) und auf Chromosom 1 im Bereich des Centromers und im telomeren Bereich lokalisiert sind.
Die gegenwärtigen Untersuchungen verfolgen das Ziel:
- mittels regulatorischer anti CD4+ und stimulatorischer anti CTLA-4 Antikörper den Autoimmunprozess zu beeinflussen und Toleranz gegenüber autoagressiven T-Zellen zu induzieren,
- das Potential der Beta-Zellregeneration unter Bedingungen der Immunmodulation zu untersuchen. Hierzu sollen in den Phasen der Infiltration der Langerhansschen Insel die Proliferation insulinproduzierender Zellen aus duktalen Progenitorzellen untersucht werden.
Kooperationspartner
- Prof. HJ Hedrich, Medizinische Hochschule Hannover
- Prof. A. Jörns, Medizinische Hochschule Hannover
4. Regulationsprinzipien der Glucokinase in den Beta-Zellen des Pankreas
4. Regulationsprinzipien der Glucokinase in den Beta-Zellen des Pankreas
Die Glucokinase ist als glucosephosphorylierendes Enzym mit einer Substrataffinität im physiologischen millimolaren Konzentrationsbereich ein idealer Glucosesensor für die insulinproduzierende Beta-Zelle des Pankreas und die Leber. In dem Konzept der metabolischen Stimulus-Sekretionskopplung stellt die Glucokinase in den Beta-Zellen des Pankreas das fluxlimitierende Element dar. Die Regulationsprinzipien der Glucokinase stellen somit eine wichtige Grundlage für das Verständnis der glucoseinduzierten Insulinsekretion und Fehlfunktionen der Beta-Zelle dar, welche pathogenetisch die Sekretionsstörung des Typ 2 Diabetes mellitus verursachen. Die molekularen Mechanismen der ernährungabhängigen physiologischen Regulation der Glucokinase in den Beta-Zellen des Pankreas verlaufen komplex auf der Ebene des Gens sowie des Enzymproteins. Durch eine sensitive quantitative RT-PCR Technik und durch Northern Blot Analysen konnte gezeigt werden, dass im Metabolismus der Beta-Zelle das Signal für die transkriptionellen Modulationen der Genexpression generiert wird. Dabei waren zwei Beobachtungen von entscheidender Bedeutung:
- Die Glucokinase ist in den insulinproduzierenden Beta-Zellen an einen intrazellulären Proteinfaktor gebunden und wird durch Glucose in der spezifischen Aktivität moduliert.
- Gegenüber den hochaffinen Hexokinasen Typ I – III zeigt die Glucokinase eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber der Oxidation von freien SH-Seitengruppen, die aufgrund von Konformationsänderungen zur Ausbildung von Schwefelbrücken führen und somit den intrazellulären Redoxstatus als regulatives Prinzip erscheinen lassen.
In der Beta-Zelle konnte das Enzym Phosphofruktokinase Typ 2 (PFK2) als ein Bindungspartner der Glucokinase identifiziert werden. Dabei handelt es sich um ein bifunktionelles Enzym, das einen der wichtigsten Regulatoren der Glykolyse – Fructose-2,6-Bisphosphat – in Abhängigkeit von der Kinase oder Phosphatase-Aktivität nach oben oder unten reguliert. PFK2 stellt einen aktivierenden Bindungspartner der Glucokinase dar. Nach Überexpression des Enzyms in insulinproduzierenden Zelllinien konnte ein Anstieg des Vmax-Werts beobachtet werden, wohingegen die Affinität für Glucose unverändert blieb. Die Interaktion der Glucokinase mit der PFK2 erklärt daher sehr gut die Änderungen der kinetischen Parameter, die unter der physiologischen Regulation durch Glucose beobachtet werden. Die Forschung an der Glucokinase besitzt hohe klinische Relevanz, da seit den 1990er-Jahren Substanzen identifiziert werden konnten, welche die Glucokinase aktivieren. Diese Aktivatoren steigern die Enzymaktivität der Glucokinase und damit die Insulinsekretion der Betazellen des Pankreas verbessern.
Es ist das Ziel der Studien:
- die Effekte von Glucose und GK-Aktivatoren auf die intrazelluläre Kompartimentierung zu untersuchen,
- die Interaktion zwischen Glucokinase und PFK-2 unter Bedingungen der Glucose- und Lipotoxizität zu charakterisieren,
- den Mechanismus der Interaktion zwischen Glucokinase und PFK-2 mittels fluoreszenzmarkierter Proteine zu untersuchen, die einen Rückschluss auf Konformationsänderungen des Glucokinaseproteins erlauben.
Kooperationspartner
- Prof. S. Lenzen, Medizinische Hochschule Hannover
- Prof. L. Agius, Universität Newcastle, Newcastle, UK
- Prof. A. Lange, Universität Minneapolis, Minneapolis, USA